Wie das InsurTech One heute geschäftet, was auf dem Zettel für die Zukunft steht und warum CEO Oliver Lang glaubt, dass Beratung die Direktversicherung schlagen kann.
Interview mit Oliver Lang, CEO des InsurTechs und Digitalversicherers One
MoneyToday.ch: Das InsurTech One ist seit einigen Wochen auch in der Schweiz aktiv – wie ist das Geschäft angelaufen?
Oliver Lang: Wir sind sehr zufrieden mit dem Anlauf. Am Anfang haben wir den Verkauf bewusst auf die eigene Schwester Wefox limitiert. Das hat den Vorteil, dass wir ganz direkt das Feedback der Berater erhalten und so schnell Verbesserungen implementieren können. Wir haben in den ersten Wochen bereits zahlreiche kleine Korrekturen am Produkt und am Prozess vorgenommen. Mit jeder Verbesserung schaffen wir Wert für Kunden oder Berater.
Zum Start ist bei One eine Autoversicherung im Angebot – warum nicht das volle Paket, also auch Hausrat, Haftpflicht und andere Versicherungen?
Das hängt von den notwendigen Lizenzen ab. Wir müssen bei unserem Regulator, der FMA in Liechtenstein, für jedes Geschäftsfeld eine Lizenz in der Schweiz beantragen. Die Haftpflicht wird in der Schweiz fast ausschliesslich in Kombination mit Hausratversicherungen angeboten. Hier fehlt momentan jedoch die sogenannte Sachversicherungslizenz. Sobald wir diese erhalten haben, können wir nicht nur Hausrat- und Haftpflicht-Produktkombinationen anbieten, sondern auch Handyversicherungen, Fahrradversicherungen oder Tierversicherungen.
One bezeichnet sich selbst als "erfolgreichsten Digitalversicherer in Europa" – gibt’s Zahlen und Belege zu dieser Etikette des Leaders?
Wir machen das am Wachstum und an der Profitabilität fest. Kein anderer Digitalversicherer hat so schnell eine halbe Millionen Verträge erreicht wie wir. Wenn 2021 weiterhin gut läuft, könnten wir bereits in unserem vierten Jahr die 100 Millionen Umsatzmarke übertreffen. Und trotz dieses Wachstum sind wir extrem profitabel. 2019 haben wir gerade mal 2 Millionen EUR Verlust gemacht. In 2020 waren wir bereits auf dem Weg zum Break-even.
Kein anderer Digitalversicherer hat so schnell eine halbe Millionen Verträge erreicht wie wir
Ist Euch Lemonade in Deutschland auf den Fersen? Oder Friday mit ihren innovativen Autoversicherungen nach Kilometer?
Lemonade veröffentlicht für Deutschland keine separaten Zahlen, daher ist das schwer einzuschätzen. Sollten die inoffiziellen Angaben von anderen Marktteilnehmern jedoch nur annähernd stimmen, dürften wir in Deutschland etwa 100 Mal so gross sein wie Lemonade.
Friday ist ein sehr guter Wettbewerber mit wahnsinnig tiefen Taschen und einem guten Management. Vermutlich bewegen sie sich in einer ähnlichen Umsatzgrösse wie wir. Da sie fast ausschliesslich Motorfahrzeug-Versicherungen verkaufen, dürften sie bei der Kundenzahl aber hinter uns liegen. In Deutschland sehen wir Neodigital an zweiter Stelle. Neodigital ist eine gut gemanagte Versicherung mit starken Aktionären. Sie setzen, wie wir, vorwiegend auf den Beratervertrieb – das zahlt sich aus.
Apropos "Digitalversicherer", ein Kunde kann nicht direkt auf der Plattform digital abschliessen, er muss mit einem Vermittler oder Makler sprechen – warum schwimmt One mit diesem analogen Umweg gegen den Strom der Zeit?
Das stimmt, wir glauben an die Beratung. Anders als die Direktversicherer behaupten, ist der Abschluss einer Versicherung nicht so einfach und mit viel Zeitaufwand verbunden. Die überwiegende Mehrheit der Kunden nimmt sich nicht die Zeit, den richtigen Versicherungsschutz für sich und ihre Familie zu definieren. Seit 15 bis 20 Jahren trauen sich nur rund 10 Prozent der Kunden in Kontinentaleuropa zu, ihren Versicherungsschutz ohne vorgängige Beratung zu kaufen. In den letzten beiden Jahren ist der Prozentsatz sogar leicht gesunken.
Diesen "Strom der Zeit" halten wir also für falsch. Es handelt sich nicht um einen analogen Umweg, vielmehr setzen wir mit der One Versicherung AG auf die Digitalisierung der Beratung. Es geht darum, den menschlichen Berater digital zu unterstützen, damit er mehr Zeit mit dem Kunden verbringen und diesem eine qualitativ noch bessere Beratung anbieten kann. Wir sehen in der Zukunft definitiv auch einen Markt für die komplett digitale Versicherungsberatung – über Web, Apps oder Alexa.
Woher kommt dann Euer Anspruch, der "schnellste Versicherer auf dem Markt" zu sein – direktes und digitales Abschliessen geht doch deutlich schneller?
Wir messen die Reaktionszeit auf alle Kunden- oder Berateranfragen in Millisekunden. Unser Ziel ist, jedes Anliegen in maximal 100 Millisekunden abschliessend gelöst zu haben. Der Abschluss einer Versicherung ist nur der allererste von vielen Prozessen. Die 100 Millisekunden gelten auch, wenn ein Kunde seine Adresse ändert, den Versicherungsschutz anpasst, einen Schaden meldet oder den Vertrag beendet. Schnell abschliessen können heute bereits einige Versicherungen. Aber die Folgeprozesse ebenso schnell erledigen können nur sehr wenige.
Unser Ziel ist, jedes Anliegen in maximal 100 Millisekunden abschliessend gelöst zu haben
Zudem muss man aufpassen, wie der Prozess des Abschliessens definiert wird. Wenn beim Abschluss der Prozess der Beratung mit einbezogen wird, muss man bei den Direktkunden auch den Prozess der Informationsgewinnung berücksichtigen.
Es ist ja nicht so, dass sich ein Kunde zufällig beim Surfen auf die Homepage von Lemonade verirrt und dann aus dem Bauch heraus eine Versicherung kauft. In der Regel haben sich die Kunden vorher wochen- oder monatelang informiert, sind durchs Netz gesurft oder haben mit Freunden gesprochen. Ich behaupte, dass jeder strukturierte Beratungsprozess um Welten schneller ist, als wenn sich Laien das Wissen, das sie für den Abschluss benötigen, selbst zusammensuchen. Wenn man den Prozess der Beratung oder Informationsgewinnung aber aussen vor lässt, ist One beim Abschluss mindestens genauso schnell wie alle Konkurrenten.
Gehen da nicht auch Geschäfte verloren – von jenen Zielgruppen eben, die schnell und direkt online abschliessen möchten und keine Lust auf Gespräche mit Maklern haben?
Absolut, früher haben wir Direktabschlüsse zugelassen und könnten das auch jederzeit wieder tun. Die Zahlen rechnen sich aber einfach nicht. Wir verzichten bewusst auf dieses Segment, da die Kunden oftmals weniger treu sind, mehr Schäden einreichen und die Kundenakquisekosten momentan zu hoch sind. Das liegt daran, dass die meisten Versicherungen dem Strom der Zeit, wie Ihr ihn nennt, hinterherschwimmen und damit die Preise in astronomische Höhen treiben.
Wir verzichten aber noch auf andere Segmente – und nicht alle sind so unattraktiv wie das Direktkundensegment. Wir verzichten auf die, die bei ihren Beratern gerne Sonderkonditionen aushandeln. In Deutschland hatten wir zum Beispiel häufig die Frage von Kunden nach einer Sondereinstufung in der Schadenfreiheitsklasse, die angibt, wie viele Jahre ein Kunde unfallfrei gefahren ist. Das geht bei einer rein maschinellen Bearbeitung (noch) nicht.
Wir verzichten auf die Kunden, die bei ihren Beratern gerne Sonderkonditionen aushandeln
In der Schweiz hören wir hingegen oft den Wunsch nach Rabatten. Hier scheinen die anderen Versicherer eine Politik der maximalen Kaufkraftabschöpfung zu fahren. Sie gehen mit zu teuren Preisen in die Verhandlung und die Kunden, die am besten verhandeln können, bekommen dann einen Rabatt. Die anderen Kunden zahlen zu viel. Das machen wir bei One nicht, weil es nicht unserem Ansatz entspricht. Bei uns sollen die risikoarmen Kunden weniger bezahlen als die riskanten. Wie gut ein Kunde verhandeln kann, soll bei One keinen Einfluss auf den Preis haben.
Aus Kundensicht – warum sollen sich Autofahrer bei One versichern und nicht bei der Konkurrenz?
Einen Grund habe ich in der letzten Antwort schon vorweggenommen. Bei One erhalten alle Kunden einen fairen Preis, der nicht von ihrem Verhandlungsgeschick abhängt. Wir sind kein Billigversicherer und bieten sehr gute Qualität bei unseren Leistungen und Prozessen. Die Vorteile, die wir durch unsere hohe Digitalisierungsquote haben, geben wir an den Kunden weiter, wodurch dieser eine hohe Qualität zu einem fairem Preis erhält.
Die hohe Qualität schlägt sich vor allem in der Einfachheit und Schnelligkeit nieder. Als Kunde mit uns zu kommunizieren, fühlt sich an wie mit Amazon. Alles digital, alles sofort erledigt. In Deutschland zahlen wir Schäden im Schnitt 80 Prozent schneller aus als andere Versicherer. Während man bei der Allianz oder Zürich drei Wochen auf die Schadenszahlung wartet, geht das bei One innerhalb von drei Tagen.
Als Qualitätsversicherer sind wir im Schadenfall auch eher kulant. Natürlich filtert unsere KI die meisten Betrugsfälle heraus, das sind wir den vielen ehrlichen Kunden schuldig. Aber wir vertreten prinzipiell den Standpunkt, dass wenn dem Kunden etwas Schlimmes passiert ist, wir auch helfen. Genau dafür hat er ja schliesslich bei uns eine Versicherung gekauft. Er hat also ein Recht auf unsere Unterstützung und nicht die Pflicht, sich von uns verhören zu lassen.
Die Schweiz gehört im Bereich InsurTechs und Online-Plattformen noch nicht zu den "dicht besiedelten" Ländern. Das könnte sich bald ändern, welche Stärken will One ausspielen, wenn die Konkurrenz spürbarer wird?
Vor Online-Plattformen ist uns nicht bange. Im Gegenteil, wir würden es sehr begrüssen, wenn Amazon, Google, Facebook oder Apple das Vertrauen, das sie bei vielen Kunden geniessen, nutzen würden, um eine weltklasse Versicherungsberatung anzubieten. Da wären wir die Ersten, die diese neuen Berater an uns anbinden würden. Wir glauben, dass es am Ende auf die Digitalisierungsquote ankommt und bei der sind wir um Längen vor allen anderen InsurTechs.
Als Kunde mit uns zu kommunizieren, fühlt sich an wie mit Amazon
Diesen Vorsprung wollen wir halten, indem wir in immer neue Technologien investieren – Optical Character Recognition (OCR), Natural Language Processing (NLP), Artificial Intelligence (AI), Machine Learning (ML), Chatbots, und so weiter.
Darüber hinaus investieren wir signifikant Zeit und Geld in unsere Moonshots: Risikovermeidung und One Policy. Wenn wir da unsere Ziele erreichen, werden wir unseren riesigen Vorsprung vor allen InsurTechs halten, die noch auf den Markt kommen werden.
One schwebt die Versicherung gegen sämtliche Risiken vor. Der Kunde bucht eine einzige Police und ist gegen alles Mögliche und Denkbare versichert, in jedem Lebensbereich. Unrealistische Vision oder konkreter Plan, der in absehbarer Zeit umgesetzt wird?
Es ist ein konkreter Plan. 2023 soll die erste One-Police verkauft werden.
Warum so spät?
Weil wir dafür weitere Lizenzen benötigen. 2022 wollen wir die ersten Lebensversicherungen anbieten und die sind für die One Policy nötig. Daher das Ziel 2023. Die ersten Policen werden ein MVP. Sie werden zwar alle Risiken abdecken, aber um den adäquaten monatlichen Preis zu bestimmen, werden wir vom Kunden noch einige Informationen benötigen. Später sollen diese Informationen aus anderen, digitalen Quellen kommen. Dann muss der Kunde nur noch im Schadenfall mit uns interagieren.
Zu Ende gedacht, ersetzt die One Policy jegliche Versicherungsberatung. Oder anders gesagt, die Beratung ist ins Produkt integriert. Die One Policy sorgt dafür, dass man als Kunde immer gegen alle Risiken versichert ist. Das werden wir garantieren.
Ihr Unternehmen ist noch nicht lange im Schweizer Markt, deshalb ein Blick in die Zukunft: Wo steht One in der Schweiz in zwei Jahren?
In zwei Jahren wollen wir in der Schweiz über 200 Millionen CHF Prämienvolumen schreiben. Wir wollen alle Produkte, die ein Privatkunde braucht, anbieten – mit Ausnahme der Krankenversicherung – aber definitiv inklusive Lebensversicherungen. Wir werden profitabel sein, weiterhin stark wachsen und kurz vor der Einführung der One Policy stehen. Unsere Dunkelverarbeitungsquote wird bei 90 Prozent liegen und unsere Kunden werden in den Genuss von Informationen und Services kommen, die ihnen helfen, Risiken aktiv zu vermeiden.
Der Interviewpartner:
Oliver Lang
Oliver Lang ist CEO des Versicherers One. Das InsurTech, eine Schwester von Wefox und Sam Versicherungen, ist Ende 2020 in der Schweiz gestartet.
Lang ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Versicherungs-Industrie aktiv und überzeugt davon, dass Digitalisierung und Technologie auch die Geschäftsmodelle der Versicherer drastisch verändern werden.
Vor seinem Einstieg bei One war Oliver Lang bei McKinsey in der Beratung internationaler Versicherer engagiert, später im Risikomanagement beim Rückversicherer Converium. In nächsten Phasen war er an der Gründung und am Aufbau mehrerer Startups und InsurTechs beteiligt. Lang hält einen MBA der Universität Tübingen.