Die neue App selbst hat keinen Schönheitsfehler, die ist smart. Der Schönheitsfehler liegt am übergeordneten Konzept, das möglicherweise nicht den Wünschen der Kunden entspricht.
Tanken für Eilige: Was die neue App kann
Bei Tankstellen mit Tankwart-Service kann getankt und bezahlt werden, ohne das Auto überhaupt zu verlassen. Bei Selfservice-Tankstellen zahl der Kunde mit der App direkt an der Tanksäule, ohne den Gang zur Kasse im Tankstellen-Shop.
Ist die App aktiviert, lokalisiert Smartpay automatisch über GPS, an welcher Shell-Station der Kunde steht. Der User gibt die Tanksäulen-Nummer ein, bestätigt den maximal gewünschten Tankbetrag und erhält die Freigabe von der App. Nach dem Tanken liefert das System dem Kunden die Abrechnung sofort in die App, versendet sie zusätzlich auch per E-Mail und der Kunde kann direkt weiterfahren, ohne Umweg über die Kasse.
Neuer Komfort für Shell-Kunden, weniger erfreulich für Tankstellen-Betreiber, weil diese den Löwenanteil ihrer Erträge nicht über Treibstoff-Verkäufe, sondern über das übrige Shop-Sortiment generieren. Und schaut der Kunde nicht mehr rein, gibt's auch keinen Mehrumsatz.
Emre Turanli, Marketingleiter des Shell Tankstellengeschäftes Deutschland, Österreich und Schweiz:
«Das neue Angebot richtet sich vor allem an jene Kunden, die es eilig haben oder ihr Auto nicht verlassen wollen oder können.»
Der neue Service ist smart und praktisch, ab sofort in zwei Städten in Deutschland verfügbar, im vierten Quartal 2017 in ganz Deutschland, danach ist der Rollout in weitern Ländern geplant. Auch die Schweiz wird schnell tanken und schnell bezahlen können.
Jetzt der Schönheitsfehler
Ein Schönheitsfehler, den zahlreiche Apps teilen, die neu in den Markt gestellt werden: die App ist aus Anbietersicht konzipiert und nicht aus Kundenbedürfnissen heraus gedacht. Shell geht davon aus, dass Kunden gezielt eine Shell-Tankstelle ansteuern. Der Wunsch ist verständlich, entspricht jedoch kaum bedingungslos der Realität. Aral hegt aktuell ähnliche App-Pläne und wird exklusiv Aral-Kunden ansprechen. Andere Tankstellen-Ketten werden nachziehen – und die Welt ist um unzählige Apps reicher.
Bei einem beträchtlichen Teil der Kunden dürfte die Markentreue geringer sein, als erhofft. Die Lieblings-Tankstelle ist oft jene, die direkt am Weg liegt. Bei unterschiedlichen Wegen wechseln auch die Lieblinge. Manchmal gewinnt auch schlicht die Tankstelle mit dem grössten Convenience Shop, weil ein Kunde spät nachts einkaufen will und nur nebenbei tankt. Und weil deshalb viele Kunden Shell, Aral, Avia, BP, Agrola, Migrol, Coop, Ruedi Rüssel und weiteren Nichtgenannten jeweils abwechselnd die Treue schwören, brauchen Viel-Tanker irgendwann zwanzig Apps. Das sind mindesten 19 zu viel.
Wenn schon eine zusätzliche App nur zum Tanken, dann eine, eine einzige, die alles kann. Eine, die sich mit jeder Tankstelle versteht. Mit jeder, von Agrola über Shell bis zu Ruedi Rüssel. Würden alle Mineralöl-Unternehmen im Tankstellen-Bereich kooperieren, wäre eine grandiose, vielseitige Hammer-App möglich, die Massstäbe setzen kann. Auch für andere Branchen. Eine App, die den Kunden, seine Vorlieben und seine Wünsche kennt – an der Tanksäule wie auch im Convenience Shop, egal wo er tanken möchte.
Diese eine und vielseitige App würde jedem einzelnen Mineralöl-Unternehmen möglicherweise höheren Nutzen und Ertrag bringen. Nur schon deshalb, weil diese Multi-App sehr viel grössere Chancen hat, überhaupt runtergeladen und breit genutzt zu werden. Menschen und Kunden mögen Komfort, Service, Wahlfreiheit – und eine App. Zwanzig Apps nur zum Tanken sind zu viel.
Absolution für die Smartpay App
Die schöne neue App kann nichts für ihren Makel, die App selbst ist smart. Shell ist auch nicht auf dem falschen Dampfer, es geht mehr um eine grundsätzliche Überlegung. Jeder Marketingprofi setzt auf seine Marke und möchte seinen Kunden einen Mehrwert bieten. Dabei kommt in der unternehmenszentrierten Anlage oftmals die kundenzentrierte Betrachtung etwas zu kurz. Möglicherweise wären durch eine erweiterte Betrachtung auch neue Kunden zu gewinnen, über den eigenen Kundenstamm hinaus?
Auch in anderen Branchen schiessen Apps wie Pilze aus dem Boden. Die folgenden, oftmals nicht gestellten Fragen, entscheiden zunehmend mit über Erfolg oder Misserfolg: Welchen Nutzen hat die App, funktioniert sie eingeschränkt oder "breit", wie viele Apps lädt ein Kunde auf sein Smartphone, wie viele davon werden tatsächlich genutzt und wie viele Apps im Parallelbetrieb verkraftet überhaupt ein einzelner User?
Deshalb: So wie Open Banking darauf zielt, das Leben für Kunden einfacher und komfortabler zu machen, lohnen sich dieselben Überlegungen auch in anderen Branchen und Bereichen. Aus der Sicht von Konsumenten gedacht, sind Kunden sehr viel besser mit einer einzigen "Open Fueling App" bedient. Profitieren Kunden von einer tollen App, profitieren auch Mineralöl-Gesellschaften. Alle gemeinsam und jede für sich.