Blockchain & Kryptowährungen

Droht der Schweiz bei Blockchain & Bitcoins ein Napster-Moment?

Bild: Andrey Danilovich | Getty Images

Kryptowährungen wie Bitcoin haben das Potenzial, die Finanzbranche weltweit durcheinanderzuwirbeln, Blockchain als deren Basis-Technologie dürfte sogar noch viel mehr Branchen umpflügen.

Schweizer FinTech- und RegTech-Unternehmen könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen. Bis heute ist aber genau dieser Konjunktiv das Problem. Schlimmstenfalls droht vor allem dem hiesigen Finanzplatz das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit.

Weltweit feiert die Bitcoin-Community den 22. Mai jeweils mit Pizza. Der Anlass: Am 22. Mai 2010 zahlte Laszlo Hanyecz, ein Bitcoin-Programmierer aus Florida, einem Buddy aus einem Internetforum erstmals die Summe von 10’000 Bitcoins für zwei Pizzen von Papa John’s. Damals, die Technologie war gerade ein wenig mehr als ein Jahr alt, entsprach diese Summe ungefähr einem Wert von 25 Dollar. Heute hätten die beiden Teigfladen einen Wert von über 25 Millionen Dollar (siehe Abbildung).

Am Anfang tat die Finanzwelt alles, um sich nicht mit Internetwährungen abgeben zu müssen. Sinnbildlich für diese Haltung sagte Alan Greenspan, der frühere Chef der US-Notenbank, in einem Bloomberg-Fernsehinterview im Jahr 2013: «Es braucht schon eine schier unermessliche Vorstellungskraft, um den intrinsischen Wert von Bitcoin zu erfassen. Mir gelingt das nicht.» Dann versuchten die Kritiker die Technologie als unsicher und unausgereift darzustellen. Klar ist: Wie bei allen aufstrebenden technologischen Entwicklungen gab und gibt es auch bei Kryptowährungen Verbesserungspotenzial oder Probleme zu lösen.

Vordringlich zu nennen ist etwa der Umgang mit den Schlüsseln, die den Besitz von Bitcoins dokumentieren und auch zum Besitzübertrag notwendig sind. Selbst als Ignoranz keine Option mehr war, tat sich die Wirtschaft noch lange schwer, das disruptive Potenzial von Bitcoins und anderen Kryptowährungen angemessen zu würdigen. Viele hochrangige Bankmanager führten einen regelrechten Kreuzzug und brachten Bitcoins pauschal mit Kriminalität und Terrorfinanzierung in Verbindung.

Heute sehen sich viele Exponenten der Finanzwelt gezwungen, ihre negative Meinung zu Kryptowährungen zu überdenken. Bereits im September 2014 veröffentlichte die Bank of England einen Bericht, der die Blockchain-Technologie – auf welcher Kryptowährungen basieren  – als «signifikante Innovation» mit weitreichenden Auswirkungen hervorhob. Nur um ein paar Monate später nachzulegen: «Die Schaffung eines solchen Systems könnte ein Protokoll hervorbringen, mit dem es im Internet möglich ist, den Besitz von Werten und deren Transfer sicher und transparent zu regeln, vergleichbar mit dem von Sir Tim Berners-Lee am Forschungszentrum Cern publizierten Werk zu den Grundlagen des Internets.»

Aufkommende Turbulenzen für etablierte Finanzinstitute

Bis zum Aufkommen der Blockchain war das Internet vor allem eine grossartige Infrastruktur für den Zugriff auf Informationen. Im herkömmlichen Web werden laufend Kopien der Daten erzeugt, ohne dass klar ist, welche davon das Original ist. Die Blockchain ändert dies: Sie ermöglicht es, den Besitz zu dokumentieren und den Transfer zu einem anderen Eigentümer sicher durchzuführen. Damit verlagern sich die Kernprozesse vieler Anwendungen in die Infrastruktur.

Beispiele dafür sind der Transfer von Werten, das Führen von Bankkonten oder Grundbüchern. Als Konsequenz sinken die Kosten signifikant. Sobald nun eine Organisation mit einer starken Marke und einem etablierten Sicherheitsimage dem Handel und seinen Kunden einen verlässlichen Blockchain-basierten Service zur Verfügung stellt, wird der Rest der Branche folgen. Gerade Banken fürchten diesen sogenannten Napster-Moment – den Zeitpunkt, wo eine etablierte Branche durch das Aufkommen einer neuen Plattformtechnologie komplett aus den Fugen gerät.

Mit den stumpfen Waffen der Vergangenheit ist einem solchen technologischen Umbruch nicht beizukommen, weil das damit verbundene Kundenerlebnis radikal einfacher und billiger wird. Entsprechend haben die Musikplattform Napster und ihre Nachkommen iTunes, Spotify und Netflix die Unterhaltungsbranche innerhalb weniger Jahre umgepflügt. Angesichts dieses Wandels schienen die etablierten Medienunternehmen wie gelähmt. Sie waren unfähig, ihre eigene DNA und Kultur rasch und entschieden so anzupassen, um die neuen Technologien als Katalysator des Wandels willkommen zu heissen.

Ähnliches droht heute der Finanzbranche. Derzeit wird auf Basis der Blockchain-Technologie eine Vielzahl von Smartphone-Applikationen entwickelt. Bald wird das Überweisen von Geld oder Eigentum – ohne traditionelle Bank oder Intermediär – so einfach sein wie ein Swipe von links nach rechts auf dem Smartphone. Bis dato hält sich die helvetische Wirtschaft noch vornehm damit zurück, solche Anwendungen auf den Markt zu bringen.

Die Dämme sind aber da und dort schon brüchig. Bereits über 70’000 Onlinehändler wickeln weltweit durchschnittlich fast 60’000 Blockchain-Transaktionen pro Tag ab, und Hunderte von Pizzerien weltweit akzeptieren inzwischen Bitcoins.

Auch in der Schweiz breiten sich Bitcoins und Blockchain-basierte Lösungen aus. So kann sich jeder an einem SBB-Ticketautomaten Bitcoins in sein digitales Portemonnaie laden und damit beispielsweise ein Bier im Sip’s Pub in Zürich-Oerlikon kaufen oder eine Rechnung an einem Onlineschalter des Kantons Zug begleichen. Der Zentralschweizer Kanton ist besonders gut positioniert, da sich dort mehrere Startups mit kryptografischer Expertise angesiedelt haben. Aus diesem Crypto Valley wollen sie nun die Welt erobern. 

Technische Mängel als Challenge auf dem Weg zum Massenmarkt

Nebst der eigentlichen Geldüberweisung erleichtert die Blockchain-Technologie dank ihrer Transparenz und Abwicklungseffizienz auch die "Verifikation" und "Authentifizierung" der Handelspartner. Die Technologie wäre deshalb geradezu prädestiniert für die Digitalisierung des Grundbuchs oder den Handel mit Kunst, Antiquitäten und Liebhaberobjekten wie alte Uhren oder Oldtimerfahrzeuge – vorausgesetzt, die Bitcoin-Gemeinde findet Lösungen für die drei gravierendsten technischen Mängel.

So ist erstens der Stromverbrauch noch viel zu hoch: Eine Bitcoin-Transaktion verbraucht die gleiche Menge Strom wie zwei Schweizer Haushalte pro Tag. Zweitens ist die Kapazität mit gerade mal sieben Transaktionen pro Sekunde zu gering. Und schliesslich dauert die Bestätigungszeit einer Überweisung bis zu zehn Minuten.

Technische Entwicklungen wie das Lightning-Network könnten nun Abhilfe schaffen. «Die Kapazitätsgrenzen von Bitcoin wurden bisher zwar noch nicht erreicht, dem Anspruch als Zahlungssystem zur Verarbeitung von Milliarden Transaktionen genügt das Bitcoin-Netzwerk aber nicht ansatzweise», sagt Dani Fricker von der Zürcher Crypto Advisory Group. Verhindert wird eine umfängliche Skalierung der Bitcoin-Blockchain durch zwei grundsätzliche Probleme: Erstens wird jede einzelne Bitcoin-Transaktion im Hauptbuch - der Blockchain – verbucht, und zweitens müssen alle Zahlungen vom gesamten Netzwerk geprüft werden. Dies bringt zwar hohe Transparenz und Sicherheit mit sich, beeinträchtigt aber die Leistungsfähigkeit der Blockchain. «Das ist ungefähr so, als ob jede E-Mail an sämtliche Mailboxen im Internet verteilt würde, und der Empfänger muss die an ihn gerichteten Mails erst herausklauben», erklärt Fricker.

Dies sei äusserst ineffizient und verhindere den Einsatz von Bitcoin als massentaugliches Zahlungssystem. Dem steht auch die Volatilität der Transaktionsgebühren im Weg. Das Design der Bitcoin-Blockchain führte unlängst dazu, dass Transaktionsgebühren und Ausführungszeiten in die Höhe schossen. Zum Höhepunkt Ende Dezember 2017 konnte eine Zahlung auch mal 30 USD an Gebühren kosten und einige Stunden oder Tage in Anspruch nehmen.

Da diese Kosten nicht proportional, sondern per Transaktion anfallen, wurde eine Zahlung mit Bitcoins für kleine Beträge plötzlich uninteressant. Bitcoin-Anhänger setzten daher auf technologische Neuerungen. Unter anderem soll die Einführung des sogenannten Lightning-Netzwerkes (LN) helfen, die Nutzbarkeit als Zahlungsmittel im Alltag zu erhöhen. 

Lightning Network als Hebel zur Skalierung

Das Lightning Netzwerk verspricht den Vorteil einer quasi unbeschränkten Skalierung von Bitcoin-Zahlungen. Bitcoin-Zahlungen werden nicht mehr direkt in der Bitcoin-Blockchain verbucht. Stattdessen soll zwischen zwei Parteien ein Zahlungs-Kanal eröffnet werden, über welchen auch Kleinstbeträge mit vernachlässigbaren Gebühren abgewickelt werden können. Wird der Kanal wieder geschlossen, bucht das System die jeweiligen Salden der Partner und nicht die einzelnen Transaktionen zurück in die Bitcoin-Blockchain.

Auch wenn die Entwicklung von LN noch in den Kinderschuhen steckt - die Möglichkeiten, schnelle Zahlungen quasi ohne Gebühren vorzunehmen, sind vielversprechend. Gerade mit Blick auf das Internet of Things (IoT) sind vor allem Mikrotransaktionen hoch interessant.

Noch spielt den Zauderern die leistungsfähige und relativ günstige klassische Payment-Infrastruktur für Frankenüberweisungen in die Karten. Was im Binnenmarkt gut funktioniert, hat aber gerade im grenzüberschreitenden Handel seine Tücken, sind doch länderübergreifende Zahlungen teilweise sehr teuer. Für den Eintritt in aufstrebende Märkte in Afrika, in Südamerika, im Mittleren Osten und in Asien könnte sich deshalb eine vertiefte Auseinandersetzung mit Bitcoin als Zahlungsmethode durchaus lohnen.

Nicht zuletzt, weil in diesen Regionen die Verbreitung von Kreditkarten, aber auch von Bankkonten nur bedingt gegeben ist. Eine Kombination von Handy und Kryptowährung bietet da eine smarte Abkürzung, sowohl für Shopbetreiber als auch für die Vernetzung der Volkswirtschaften. Denn technisch ist die Einbindung von Kryptowährungen für Onlinehändler überall auf der Welt ähnlich einfach. Die regulatorischen Hürden sind vernachlässigbar. Solange sich die Lobbyorganisationen der etablierten Finanzmarktprotagonisten nicht aggressiv gegen die Technologie positionieren, wird der Gesetzgeber kaum stark eingreifen.

Genau wie alle anderen müssen sich die Regulatoren auch erst mit den neuen Gegebenheiten vertraut machen. Um aus der Ecke der Technikfreaks rauszukommen, braucht es bei der Kryptowährung neben Reichweite auch eine stimmige Kundenerfahrung. Dazu muss Blockchain als Metatechnologie derart in eine Transaktionsarchitektur eingebunden werden, dass Ökosysteme entstehen: Wenn zum Beispiel die vielfach schwerfällige Handhabung von Sekundärwährungen wie Airline-Meilen oder Loyalitätspunkten wie Supercard und Cumulus mit anderen digitalen Hebeln wie Access-Technologien oder Peer-toPeer-Konzepten nahtlos verbunden werden, erschliessen sich exponentielle Möglichkeiten. Die ersten Marktteilnehmer, welche in einem Ökosystem denken und handeln, indem sie ihre Aktivitäten zu Mehrwerten kombinieren, werden daher zu den Gewinnern gehören. 

Mut zur Blockchain - mit dem Lightning Projekt als Schlüssel?

Der Schweizer Finanzplatz sieht sich seit Jahren mit einem schleichenden Abstieg konfrontiert. An dessen Fuss steht die Bedeutungslosigkeit. Das Abseitsstehen bei der ab kommendem Jahr geltenden EU-Zahlungsdirektive PSD2 oder der Verlust des Top-10-Rankings unter den Finanzplätzen im Global Financial Centres Index sind nur die jüngsten Zeichen dafür, dass man versucht ist, Existierendes zu halten, statt Neues zu schaffen.

Damit wir die ehemals anerkannte Rolle als Innovationsführer und Marktgestalter der Finanzindustrie zurückerobern können, braucht es ein entschiedenes und orchestriertes Handeln. Wichtige Stichworte sind Kundenrelevanz und eine Offenheit gegenüber Technologien: Nutzen wir technologische Hebel rund um Blockchain und schaffen innovative Businessmodelle, welche die Disruption der Märkte prägen, statt sie zu bekämpfen. Reichen wir uns die Hand, über Branchen-, Partei- und Unternehmensgrenzen hinweg – ein Ökosystem ist robuster und erfolgreicher als aus der Innenperspektive gestaltete Alleingänge. Für alle Marktteilnehmer sollte gelten: Nehmen wir Abschied von der helvetischen Vollkasko-Mentalität: Let’s make Switzerland great again! Gelegenheiten gibt es reichlich – Infrastruktur und Mittel ebenso. Jetzt braucht es eigentlich nur noch etwas Mut. Und Mut ist ja bekanntlich gratis.

Der Autor: Patrick Comboeuf

Patrick Comboeuf, Associate Editor bei MoneyToday.ch, ist einer der profiliertesten digitalen Vordenker der Schweiz. Mehrere Wochen im Jahr verbringt er im Silicon Valley, dem Zentrum der digitalen Welt.

Seit 2013 engagiert am Institute for Digital Business der HWZ, unter anderem als Director of Studies für den Lehrgang CAS Digital Leadership. Als Vorstandsmitglied der Fintechrockers sowie als Partner der Crypto Advisory Group unterstützt er etablierte Unternehmen sowie aufstrebende Startups dabei, ihre eigene Geschäftstätigkeit friktionsfrei in digitalen Ökosystemen und in der Blockchain zu verankern.

Als früherer CTO bei Ifolor, Head of Digital Experience bei Swiss Life und als Leiter Digital Business bei den SBB, war Patrick Comboeuf federführend verantwortlich für eine Vielzahl digitaler Initiativen. Er teilt sein Wissen gerne sozialmedial auf LinkedIn und Twitter, zudem ist Patrick ein gefragter Keynote Speaker, Moderator und Panelist auf Konferenzen im In- und Ausland.