Warum Erkenntnisse der Behavioral Economics und der Verhaltenspsychologie eine neue Zeitrechnung bei der Kundensegmentierung einläuten.
Alexander Haymann, Senior Consultant bei Elaboratum Joachim Stalph, Principal Consultant bei Elaboratum
Zwei Entwicklungen sorgen dafür, dass bei der Segmentierung von Kunden künftig kein Stein auf dem anderen bleibt: Einerseits sickern Forschungsergebnisse aus der Verhaltenspsychologie langsam in die Marketingpraxis ein. Andererseits verändern die gesetzlichen Vorschriften zur Verwendung von Cookies das bislang datengetriebene Marketing in ein kundengetriebenes.
Im kundengetriebenen Marketing hat das Gewinnen eines möglichst umfassenden Verständnisses des Kunden zentrale Bedeutung, denn nur damit lässt sich auch eine holistische und abgestimmte Kundenerfahrung kreieren. Bislang wird beim Aufbau eines umfassenden Kunden-Verständnisses, der Customer Intelligence, vor allem auf Interaktions- und Transaktionsdaten gesetzt. Dies lässt zwar die Modellierung von Segmenten zu, die aber unvollständig bzw. nicht allumfassend sind. Es fehlt die Bedürfnisebene. Diese kann mit Erkenntnissen der Behavioral Economics und der Verhaltens-Psychologie ergänzt werden.
Wer effektives Marketing betreiben will, muss segmentieren – das ist nicht neu. Doch bisher wird Segmentierung lediglich auf Basis von soziodemographischen Daten, Websitedaten und ggf. ersten generischen Affinitäten betrieben. Psychographische Dimensionen oder Prognosen über das künftige Nutzerverhalten werden nur spärlich modelliert und noch weniger genutzt. Es wird Zeit für einen Paradigmenwechsel: Weg von einer breiten Segmentierung hin zu einer dynamischen und spitzen Segmentierung. Zum Erfolg führt das Verschmelzen folgender Analysedisziplinen:
Identity Resolution Die Generierung von datenschutzkonformen, konsolidierten User-Identitäten
Data Science Die statistische Analyse und Interpretation von vorhandenen Daten sowie die Ableitung von Mustern und Trends zur Entwicklung von Propensitätsmodellen (Predictive Analytics)
Behavioral Science Die qualitative Anreicherung der gesammelten Daten um psychographische Merkmale (vor allem grundlegende Bedürfnisse und relevante Entscheidungsmuster)
Eine intelligente Segmentierung hängt von der Kopplung zweier Datenbestände ab. Websitedaten geben Aufschluss über das User-Verhalten in Bezug auf Recency, Frequency oder Engagement. Daten aus der Datenbank informieren über die Kundenhistorie (Transaktionen, CLV (Customer Lifetime Value), Retouren oder Kundenqualität).
Über einen Identifier (üblicherweise eine E-Mail-Adresse) werden diese Datenbestände verknüpft. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit zur Entwicklung von intelligenten Segmenten.
Verhaltensökonomie in der Segmentierung
Die Verknüpfung der beiden Datenbestände ermöglicht die Anreicherung der Profile bzw. Segmente um die Merkmale, die nach aktuellen Erkenntnissen der Behavioral Economics und der Verhaltens-Psychologie für >95 Prozent aller Entscheidungen zuständig sind: die der Bedürfnisebene.
Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Psychologie und Marketing-Technology ist bizarrer Weise so eindeutig wie unbekannt.
Ein schon altbekanntes Beispiel demonstriert nach wie vor gut das Daten-Dilemma: In ihren sozio-demographischen Merkmalen unterscheiden sich Ozzy Osbourne und Prinz Charles nicht voneinander (männlich, Brite, >70 Jahre alt, sehr wohlhabend, grosser Wohnsitz auf dem Land, etc.). Sie können somit vergleichbare Interaktionsprofile im Shop hinterlassen. Auf der Persönlichkeits- und Bedürfnisebene könnten sie aber kaum unterschiedlicher sein. Eine rein datenbasierte Ansprache-Logik muss daher fast versagen.
Die Bedürfnisdimension ist deshalb das entscheidende und vor allem bislang kaum berücksichtigte neue Kriterium für die erfolgreiche Gestaltung von Customer Journeys. Dass sie noch nicht in aller Munde ist, lässt sich einerseits damit erklären, dass die Forschungserkenntnisse erst nach und nach in die Praxis überführt werden. Andererseits liegt es auch an der nicht zu unterschätzenden Komplexität, diese Ebene zu erschliessen.
Zwei Wege für die psychologisch fundierte Kundenansprache
Eine psychologisch fundierte Ansprache im kundenzentrierten Marketing kann auf zwei verschiedenen Wegen realisiert werden: konzeptionell und automatisiert.
Die konzeptionelle Vorgehensweise ist ein datenbasiert-empathischer Ansatz. Experten wie ein Customer Journey-Manager, der umfangreiche Kundenkenntnis und die psychologische Kompetenz besitzt, ergänzen psychographische Merkmale zu den bestehenden Audiences bzw. Segmenten.
Die automatisierte Vorgehensweise ist aktuell noch in einem frühen Stadium. Innovative Start-Ups wie Behamics in der Schweiz zeigen zwar bereits, dass mit Machine Learning-Algorithmen grundsätzlich eine sehr wirksame Auslieferung psychologischer Trigger möglich ist. Allerdings ist auch hier bei der Konzeption der Trigger psychologisches Wissen erforderlich und das Zusammenspiel der Systeme muss geklärt werden.
Ganz gleich, welcher Weg gewählt wird, die Wirkungskette Mensch – Bedürfnis – Trigger – Conversion kann im Zusammenspiel zwischen Daten und Psychologie ihre Wirksamkeit entfalten.
Aspekte des kundengetriebenen Marketings
Weitere Informationen zu den verschiedenen Aspekten des kundengetriebenen Marketings gibt's im Whitepaper "Kundengetriebenes Marketing" – kostenlos bei Elaboratum runterladen.
Die Autoren
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