Um es vorweg zu nehmen: Die Nummer 1 der Weltrangliste kann eigentlich nicht viel dafür, ihn trifft die geringste Schuld am PR- und Mediendesaster.
Novak Djokovic ist mit einer offensichtlich etwas labilen Ausnahmebewilligung in Australien eingereist, von der Einwanderungsbehörde abgewiesen und dann ohne gültiges Einreisevisum in einem Hotel untergebracht worden, um auf seine Ausreise zu warten. Soweit und in kürzester Prosa die Fakten.
Djokovic selbst hat sich klugerweise während seiner Isolation zurückhaltend bis gar nicht geäussert, diesen Job hat seine Familie übernommen. Diese dann jedoch mit dem vollen Programm von Pathos, bizarren Vergleichen und skurrilen Inszenierungen. Seither sehen auch wir den Tennis-Crack in neuem Licht.
Der "Eingesperrte" ist "zum Symbol und zum Anführer der freien Welt geworden", er ist überhaupt einer der letzten aktiven Freiheitskämpfer in einer längst befreiten Welt, schlägt die Schlacht auf Augenhöhe und Schulter an Schulter mit Jesus gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt, wird als Messias gehandelt, hat letztendes den harten Kampf gewonnen und die Gerechtigkeit hat gesiegt. Mit der Pressekonferenz nach seiner "Freilassung" hat seine Familie dem Bisherigen die finale Krone aufgesetzt: Beweihräucherung und Beifall erlaubt und gefordert, kritische Fragen nicht erwünscht, nach der ersten unpassenden Frage wird die Medienkonferenz abgebrochen.
Die an sich triviale Geschichte mit Irrungen und Wirrungen um Djokovics Einreise in Australien hat sich zu einem weltumspannenden Medienspektakel erster Güte ausgewachsen, Regierungskrisen inklusive. Honorige Staats- und Regierungschefs und sonstige grosse Nummern haben sich involviert und neue Nahrung für Schlagzeilen geliefert. Jede noch so kleinste Entwicklung ist während der letzten Tage zu einer Nachricht mit weltpolitischer Brisanz und Dramatik hochgespielt worden. Das erste glutenfreie Mahl, zum Beispiel, das der "Gefangene" geniessen durfte, ist als Sieg hart erkämpft worden und man hat den Eindruck gewonnen, die Schüssel mit dem guten Essen ohne Gluten hätte ihren Weg durch feindliche Linien, Kugelhagel und Kanonendonner zum hungrigen Weltklasse-Tennispieler gefunden.
Sehr seltsam, das Ganze, und irgendwie unwürdig, sofern man voraussetzen darf, dass erwachsene Menschen am Spektakel beteiligt waren und sind. Ein Theater mit zahlreichen Protagonisten, die das Unwürdige erst möglich gemacht haben. Deshalb die schlichte und naive Frage, bevor Djokovic, die Tennis-Welt, Politiker, Medien, die Tennis-Fans, Australien, Serbien und das Turnier der Australian Open noch mehr an Glanz und Würde verlieren:
Von der Causa Djokovic zurück zum Tennis – geht das, bitte?
Pathos, Drama, Theater, Schattenboxen, Zirkus der Eitelkeiten und Freiheitskämpfe sind jetzt vorüber, die Welt hat genug, ist erschöpft, die Dinge nehmen ihren Lauf und Tennis könnte wieder das sein, was es vor der Causa Djokovic war. Ein wunderbarer Sport mit grossartigen Spielerinnen und Spielern, mit spannenden Turnieren, die Sieger und Verlierer hervorbringen – auf dem Tennisplatz. Die Bühnen ausserhalb dieser Plätze werden gebraucht und sind bereits belegt – aktuell von Themen und Problemen mit wirklicher Brisanz, die in ihrer Tragweite besprochen und gelöst gehören.