Die meisten Buzzwords (Schlagworte) sind mit Vorurteilen, Missverständnissen und Irrtümern behaftet und produzieren deshalb Wellenbewegungen und Umwege. Insbesondere dann, wenn ein neuer Begriff eine ganze Branche oder einen Wirtschaftszweig betrifft. Das liegt in der Natur der Sache, weil ein Begriff erst durch Übertreibungen mediale Omnipräsenz und Hype-Status erlangen kann.
Deshalb durchlaufen Buzzwords in der Regel mehrere Phasen, die darüber entscheiden, ob ein Buzzword das Zeug zum alltagstauglichen Begriff hat. Zum akzeptierten Terminus mit Substanz und Inhalt auf Dauer werden kann. Ist dieses Potenzial nicht vorhanden, wird die Wortschöpfung sang- und klanglos wieder verschwinden, um Raum für neue Hypes zu schaffen.
Ein Buzzword auf dem Weg zur Alltagstauglichkeit
Die Chronik einer nicht angekündigten Normalität im Überblick:
1. Phase: Ein Buzzword betritt die Bühne
Bei Buzzwords gibt's graduelle Unterschiede. Zum Beispiel Content Marketing ist eine Wortschöpfung für etwas, das immer schon da war, das lediglich systematischer, auf mehreren Kanälen oder konsequenter mit erzählendem Charakter angewendet werden soll. Oder haben Sie früher ohne Inhalte kommuniziert im Marketing? Eben. Dem gegenüber steht Fintech für ein eher neues Feld, das durch Digitalisierung, veränderte Bedürfnisse und andere Faktoren entstanden ist. Im einen wie im anderen Fall: ein Begriff wird meistens durch häufige Verwendung in Medien zum Buzzword.
2. Phase: Das Buzzword auf dem Prüfstand
Neu heisst nicht unbedingt gut und sinnvoll. Stimmt. Deshalb werden Buzzword und Begleiterscheinungen von etablierten Unternehmen im Markt erstmal argwöhnisch beäugt. Oder neugierig beobachtet, je nach Temperament. Begleiterscheinungen können sein: erste Anbieter, oft Startups, neue Experten und Medien adoptieren einen Begriff und hypen ihn erst zum eigentlichen Buzzword, das in aller Munde ist. Deshalb bekommt ein Begriff möglicherweise eine Wichtigkeit, die ihm gar nicht zusteht.
3. Phase: Babylonische Sprachverwirrung
Ein Buzzword rückt durch seine Omnipräsenz schnell ins Bewusstsein seiner Zielgruppen, oftmals schneller als eine präzise Definition. Deshalb verstehen in dieser Phase nicht alle unter dem Begriff dasselbe. Das führt zu Missverständnissen und Irrtümern, die sich erst in nächsten Phasen klären.
4. Phase: Annäherung und Breitenwirkung
Breitere Kreise befassen sich mit dem neuen Phänomen und mit möglichen Auswirkungen auf die eigene Branche. In dieser Phase bekommt ein Begriff auch erste fassbare Konturen in Bezug auf Definition, Handlungsbedarf und Optionen. Ein Buzzword, das diese Phase erreicht, hat's noch nicht wirklich geschafft, es stellt sich lediglich dem ersten Markt- und Härtetest.
5. Phase: Hype und Übertreibungen
Der Hype ist von Euphorie geprägt, erreicht eine erste Spitze und die Stunde der Experten ist gekommen. Startups, Beratungsangebote und neue Lösungen schiessen wie Pilze auf dem Boden. Die Entwicklung liest sich oftmals grösser als sie tatsächlich ist, weil die Berichterstattung in Medien sehr viel Raum einnimmt. Ein Teil der neuen Experten gewichtet die disruptive Kraft von Newcomern und Startups sehr hoch und prognostiziert für ganze Branchen und deren etablierten Unternehmungen düstere Zukunftsaussichten.
In dieser Phase zeigt sich oft eine gewisse Nervosität und Hektik auf Unternehmensseite. Die Omnipräsenz des Themas und Breite der medialen Berichterstattung können blenden und dazu verleiten, auf schnell fahrende Züge aufzuspringen, für die noch keine Schienen verlegt worden sind.
6. Phase: Die neue Sachlichkeit
Der Begriff füllt sich mit Inhalten in Form von konkreten Analysen und Abklärungen, was das Phänomen für das eigene Unternehmen und den eigenen Markt bedeuten kann. Innovative etablierte Unternehmen entwicklen individuelle Strategien und lancieren konkrete Projekte. Gleichzeitig stossen erste Startups und Newcomers bereits an ihre Grenzen, weil neue Märkte nicht so leicht zu erobern sind, wie gedacht. Andere sind gut unterwegs und operieren ansatzweise erfolgreich im Markt. Ein gesunder Pragmatismus im Umgang mit dem Thema beginnt zu keimen. Das Buzzword verliert etwas an Glanz, gewinnt jedoch an Alltagstauglichkeit, sofern das Potenzial zum Überleben grundsätzlich vorhanden ist.
7. Phase: Gegenhype und Blasenwarnungen
Nochmals die Stunde der Experten, in dieser Phase mit umgekehrten Vorzeichen. Und auch Provokateure haben Hochkonjunktur. Die Gefahr einer Blase wird heraufbeschworen, das schnelle Sterben zahlreicher Startups prognostiziert und das Buzzword wird entzaubert – zuweilen von seinen eigenen Geburtshelfern. Dieser Gegenhype mit Untergangsstimmung ist oftmals genau so übertrieben, wie die Euphorie des ersten Hypes zwei Phasen zuvor.
8. Phase: Bereinigung und die guten ins Töpfchen
Der Markt beginnt zu spielen und liefert Antworten. Unabhängig davon, ob Lösungen von etablierten Unternehmen oder von Startups kommen: sind sie gut und erfüllen sie konkrete Bedürfnisse, haben sie Chancen bei Konsumenten. Sind sie zu schnell und zu wenig durchdacht von Hype-Surfern entwickelt worden, verschwinden sie wieder vom Markt.
9. Phase: Normalisierung, Koexistenz und Kooperation
Der Begriff verliert seinen Trendcharakter, ist kein Buzzword mehr und kann für alle als verständliche Grösse gehandelt werden. Die Phase der Koexistenz und der Kooperationen. Strategien und Konzepte werden auf allen Seiten ohne Hektik und Nervosität geplant und sind wieder verstärkt auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegt. Das nimmt Konzepten nichts von ihrer innovativen Kraft, schafft jedoch einen starken Boden für tragfähige Lösungen. Und für innovative Unternehmen auf allen Seiten – für etablierte Grössen und für Startups, oft in sinnvollen und fruchtbaren Kooperationen.
Ein Hype ohne Finale
Ein Finale findet nicht statt, lediglich der Beginn der nicht angekündigten Normalität, welche jedem Hype innewohnt, der genügend Substanz hat, die ersten Phasen zu überleben.
Das eigentliche Leben findet in den Phasen 6 bis 9 statt, wenn sich das Buzzword zum alltagstauglichen Fachbegriff mit Bedeutung und Gewicht wandelt – in den Phasen der Entzauberung und Einordnung. Dann kann es wirklich spannend werden. Der substanziell angereicherte und definierte Terminus hat die Tests der Seriosität und Marktreife bestanden, unter seiner Flagge öffnen sich neue Perspektiven in zukunftsträchtigen Bereichen für Branchen und für Unternehmen. Gerade deshalb, weil das trendige Buzzword keines mehr ist, vielmehr zum fassbaren Überbegriff für reale Märkte und Zielgruppen geworden ist, die neue Tools, Leistungen und Lösungen notwendig machen.
Wo bleiben die Experten und Buzzword-Treiber?
Die Fach-Experten tun das, was sie immer schon getan haben: sie bleiben dran und prägen die Entwicklung mit. Als Journalisten, als Berater oder als Macher. Die Karawane der Hype-Experten hingegen ist längst weitergezogen, auf der Suche nach dem nächsten Buzzword, das medial durchs Dorf getrieben werden kann.