Twint im medialen Gegenwind

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Die gemeinsame Mobile Payment App der Schweizer Banken, Twint, erhält im Moment nicht viel Zuspruch von den Medien. Es hagelt harsche Kritik. Ein Kommentar zum Thema.

Aktuell weht Twint von Medienseite ein ziemlich rauher Wind ins Display. Ausgelöst durch einen Artikel von Lukas Hässig am vergangenen Montag, in dem der Autor Twint, Geschichte und Macher nicht gut aussehen lässt, hauen mehrere Journalisten kurz darauf mehr oder weniger sachlich in dieselbe Kerbe. Die verschiedenen Autoren kritisieren unterschiedliche Punkte, das Wesentliche in der Zusammenfassung:

Das Protokoll der medialen Kritik

Inside Paradeplatz
In seinem Artikel in Inside Paradeplatz vom 17. Juli 2017 bezeichnet Lukas Hässig Twint als "historischen Flop der führenden Banken der Schweiz". Hässig bringt eine Zusammenstellung der Zahlen von Twint-Donwloads, die er als "mikroskopisches Interesse an Mobile-App" klassiert. In seinen weiteren Ausführungen lässt er an Twint und Verantwortlichen wenige gute Haare – um genau zu sein: keines.

Twint gibt auf Twitter kontra, bezeichnet die von Inside Paradeplatz publizierten Download-Zahlen als falsch und korrigiert mit eigenen Werten, die sehr viel höher liegen.

Carpathia
Der E-Commerce-Spezialist Thomas Lang legt in seinem Blog auf Carpathia am 17. Juli 2017 nach, bezieht sich auf den Artikel von Inside Paradeplatz, deinstalliert seine Twint App und titelt: "Aus TWINT wird TLOST – Mobile-Payment-Rohkrepierer made in Switzerland". Lang vermisst vor allem die Ausrichtung auf Kunden und findet zudem die "Aufsplitterung" von Twint auf nahezu ein Dutzend Twint-Banken-Apps für Kunden verwirrend. Im Kern kritisiert Thomas Lang, dass die Chancen nach der Fusion von Paymit und Twint nicht genutzt worden wären und der Markt den globalen Apps der Konkurrenz überlassen würde, weil "sich jeder Beteiligte mutmasslich selber verwirklichen wollte – an den Kunden hat kaum jemand gedacht". Thomas Lang outet sich als Twint-Nutzer der ersten Stunde und macht seiner Enttäuschung nach der Deinstallation der App kurz und bündig Luft: "RIP TWINT".

Marketing & Kommunikation
MK-Redaktor Simon Wolanin fragt: "Droht die Twint-App zu scheitern?" und fasst am 18. Juli 2017 auf Marketing & Kommunikation die bisherigen Kritikpunkte und Statements sachlich zusammen, ergänzt mit User-Reaktionen auf Twitter, die er als eher kritisch bezeichnet.

Persoenlich.com
Journalistin und Redaktionsleiterin Edith Hollenstein vertritt auf der Plattform Persoenlich.com am 18. Juli 2017 die Ansicht: "Es scheint, als koche trotz der Verbrüderung gegen internationale Konkurrenten doch wieder jeder sein eigenes Süppchen. Das erstaunt." Sie wundert sich, dass für eine Marke, Twint, aktuell sechs verschiedene Werbekampagnen im Markt laufen: "Die Ressourcen werden nicht gezielt und erkennbar aus einem Guss für die Bekanntmachung der Marke Twint eingesetzt. Sondern mit UBS, Postfinance, Credit Suisse, ZKB, BCV und Raiffeisen werben derzeit gleichzeitig sechs grosse Geldinstitute für ihr eigenes Twint-Angebot." Edith Hollenstein stellt infrage, ob sich eine Lösung im Markt etablieren kann, die nicht konsequent die Dachmarke in den Vordergrund stellt und in der Kommunikation nicht mit ganzer Kraft einheitlich auftritt: "Zusammengenommen dürften die Ausgaben für diese unterschiedlichen und aufwändigen Werbemassnahmen einen mehrstelligen Millionenbetrag ausmachen. Da fragt man sich: Hätte dieses Geld nicht besser koordiniert zur Bekanntmachung von Twint eingesetzt werden sollen?"

Finews
Chefredaktor Peter Hody titelt am 19. Juli 2017 in Finews "Twint – Fehlstart mit Ansage" und erklärt: "Ich werde Twint nicht mehr benutzen. Die Bezahl-App hat ihren Einstand bei mir vergeigt." Hody erkennt für die App kein Bedürfnis und listet in seinem Artikel fünf Probleme, die aus seiner Sicht einem Twint-Erfolg im Wege stehen: "1. Problem: Es gibt keine echte Nachfrage. 2. Problem: Twint bringt keinen Quantensprung an Nutzerfreundlichkeit. 3. Problem: Die Twint-Konkurrenz hat alle Vorteile. 4. Problem: Twint funktioniert nur mit einer grossen Nutzerbasis. 5. Problem: Twint ist eine Insel."

Unser Kommentar zur geballten Ladung:
Für eine vorgezogene Grabesrede ist es zu früh

Manchmal kommt es eben knüppeldick. Da muss man durch. Und aus einigen Kritikpunkten der verschiedenen Schreiber lassen sich Erkenntnisse ziehen, die genutzt werden können. Und genutzt werden müssen. Zumal aus der teilweise überraschend harsch platzierten Kritik beim einen oder anderen Autor so etwas wie Enttäuschung mitschwingt, dass man es ihm nicht möglich gemacht hat, die App aus Überzeugung weiterhin zu nutzen. Hinter dieser Enttäuschung steht Engagement, und damit lässt sich ja was anfangen.

Warum ist es für eine vorgezogene Grabesrede zu früh?
Weil die Uhr erst auf fünf vor zwölf steht, wahrscheinlich sogar erst auf zehn vor zwölf. Und fünf oder zehn Minuten sind, übersetzt in Entwicklungs- und Optimierungsspielräume, nicht unglaublich komfortable Zeiträume, aber dennoch so viel Zeit, wie man braucht, um eine App wirklich gut zu machen.

Klar, und völlig richtig, man kann sich von Revolut, Apple Pay und anderen allerhand abschauen. Soll man auch, muss man auch, unterhalb gesetzter Marken darf man nicht unterwegs sein, sonst wird's eng. Und man soll seine eigenen Stärken ausspielen. Tut man auch. Zum Beispiel die Anbindung ans Bankkonto oder den noch vorhandenen Vorsprung im P2P-Bereich. Und, ebenso klar, es gibt noch viel zu tun. Aber, wie gesagt, zehn Minuten stehen noch zur Verfügung. Wer sie nutzt, kann gewinnen.

Weshalb zehn Minuten?
Die Positionen in der Schweiz sind noch nicht besetzt. Alipay, Wechat Pay und möglicherweise weitere Technologie-Anbieter sind noch nicht im Spiel. Sind sie es, geht alles sehr viel schneller. So lange sie erst in den Startpflöcken stehen, bleibt eben noch Zeit. Notwendige Zeit, um Konsumenten überhaupt erst daran zu gewöhnen, mobil mit dem Smartphone zu bezahlen. Deshalb sind auch die Positionen von Konsumenten noch nicht zementiert besetzt. Eine Nation, die zum deutlich grösseren Teil noch nicht mobil bezahlt, muss zuerst überzeugt werden. Nicht von einer bestimmten Lösung, vielmehr vom Komfort des mobilen Bezahlens an sich.

Was steht dabei im Vordergrund?
In Sachen Komfort stehen andere Lösungen teilweise besser da. Fällt einmal die NFC-Blockade von Apple, liegt sehr viel mehr drin. In der Zwischenzeit: Das als umständlich kritisierte Handling über den QR-Code ist ein Prozedere, das mehr als 400 Millionen mobil zahlende Chinesen bei Alipay nicht die Bohne stört. Das hängt auch damit zusammen, dass Alipay mit einer Vielzahl von Features glänzt, die einfach überzeugen und das Leben wunderbar einfach machen. Dennoch: Komfort überprüfen und laufend optimieren ist sicher eine gute Idee, weil sich User immer an der besten Komfort-Lösung orientieren.

Dass man sich auf Nutzer und ihre Wünsche ausrichten und sie mit Komfort, Leistungen und Features überraschen soll, die glücklich machen, versteht sich dermassen von selbst, dass wir uns darüber nicht weiter auslassen mögen. Zumal wir davon ausgehen, dass bei Twint in diesen Punkten noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Im Marketing gibt's von unserer Seite keinen Widerspruch zu den Ausführungen von Edith Hollenstein: Eine konzentrierte und starke Kampagne aus einem Guss für die Dachmarke bewegt mit Sicherheit mehr, als sechs parallel laufende Kampagnen mit unterschiedlichen Konzepten. Das stellt nicht die Strategie der Dachmarke mit verschiedenen Banken-Apps infrage, das geht schon. Schade nur, dass jede Banken-App für sich selbst agiert, das nimmt der Gesamtlösung und der Marke viel von der grundsätzlich möglichen Kraft.

Ob eine Insel-Lösung, beschränkt auf die Schweiz, Chancen hat oder nicht, beantwortet sich auch erst später. Dann, wenn das volle Programm und das komplette Angebot der Mehrwertleistungen steht, die auf die Schweiz fokussiert sind. Oder dann und ganz anders, falls die Strategie geändert werden sollte und Twint zur internationalen Lösung erweitert wird.

Was können zehn Minuten im Leben von Twint bewirken?
Sehr viel, wenn die Zeit produktiv genutzt und Twint laufend erweitert und getunt wird. Nichts, wenn man die Zeit einfach verstreichen lässt. Das eine wie das andere lässt jedoch keinen Zweifel daran: Für eine vorgezogene Grabesrede ist es zu früh. Für sachliche Kritik nicht, dafür ist jeder Zeitpunkt der richtige.

Zahlen, Fakten und Reaktionen

Zum Medienwirbel haben mehrere Exponenten Stellung bezogen, auch Thierry Kneissler, CEO von Twint.